Staubläuse (Psocoptera)

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Diagnose

Körperlänge: 0,6 – 10 mm.

Kopf: Postclypeus stark vorgewölbt und vergrößert. Komplexaugen oft groß (einige Arten sexualdimorph in Größe der Augen). Ocelli meist vorhanden (fehlen bei apteren Individuen). Orthognath (bzw. prognath in Liposcelis). Lacinien verlängert und meißelartig. 4-gliedrige Maxillarpalpen.

Thorax: Es existieren geflügelte und ungeflügelte Arten sowie sexualdimorphe Arten mit z. B. geflügelten Männchen und ungeflügelten Weibchen. Geflügelte Arten besitzen eine charakteristische Flügeladerung. Flügel liegen dachförmig über Körper. Innerhalb einer Art kann auf Flügel-Polymorphismus auftreten. Mesothorax meist das größte thorakale Segment. Prothorax i.d.R. schwach entwickelt.

Abdomen: Schwach sklerotisiert.

Stammesgeschichte und Systematik

Die Staubläuse ('Psocoptera') bilden eine paraphyletische Ordnung, welche die nicht-parasitischen Gruppen der Psocodea enthält. Dabei stellen die Liposcelididae nach neuesten Untersuchungen die Schwestergruppe der Tierläuse ('Phthiraptera') dar (Yoshizawa & Lienhard 2010). Innerhalb der Acercaria bilden die Psocodea entweder die basale Ordnung und damit die Schwestergruppe der Condylognatha (= Thysanoptera + Hemiptera) oder sie sind näher mit den Thysanoptera verwandt (= Micracercaria- Hypothese). Argumente für die Micracercaria- Hypothese wären zum einen Ähnlichkeiten in den Spermien (biflagellat) beider Ordnungen und Gemeinsamkeiten im Aufbau des Dilatatormuskels der Cibarium-Pumpe (Günther 2003). Neuere phylogenetische Untersuchungen haben ein Schwestergruppenverhältnis zwischen Psocodea und Holometabola aufgezeigt (Misof et al. 2014; Johnson et al. 2018).

Staubläuse werden traditionell in drei Unterordnungen eingeteilt. Die 'Troctomorpha' müssen jedoch aufgrund des Schwestergruppenverhältnisses der Liposcelididae und Phthiraptera als paraphyletisch angesehen werden. Diese Gruppe bildet die Schwestergruppe der Psocomorpha. Die Trogiomorpha stehen basal im Stammbaum der Psocodea.

Apomorphien (Psocodea) nach Grimaldi & Engel (2005):
  • vollständige Reduktion des Cardo
  • Cibarialpumpe zur Wasseraufnahme aus der Atmosphäre
  • spezialisierte Cuticulafalte an der Basis der Antennengeißel, die als Abreißvorrichtung dient
  • vergrößerter Postclypeus
  • Reduktion des Ovipositors
Apomorphien (Liposcelididae + Phthiraptera) nach Grimaldi & Engel (2005):
  • Reduktion der Flügel
  • Körper dorso-ventral abgeflacht
  • Reduktion der Komplexaugen
  • Fusion des Meso- und Metanotums
  • Reduktion der Labialpalpen
  • prognather Kopf
  • Hinterfemur verbreitert
  • Stigmen der Abdominalsegmente I und II nicht vorhanden

 



Abb.:
Stammbaum der Psocodea nach De Moya et al. (2020).

Synonyme

Corrodentia, Copeognatha

Etymologie

psokos= abnagen, abreiben
pteron= Flügel

Merkmale

Lange, fadenförmige Antennen mit 11 und mehr Gliedern. Orthognather Kopf (Ausnahme: Liposcelididae mit prognathem Kopf). Kleiner frons. Anteclypeus ist relativ schmall. Postclypeus ist groß und hervortretend. Kauend-stemmende Mundwerkzeuge (Günther 1974). Über das Labium (Labialvelum) können Staubläuse Seide spinnen. Oft gut entwickelte Augen (in einigen Gruppen mit Sexualdimorphismus), wobei Liposcelis Arten nur 3-8 Ommatidien aufweisen. Ocellen i.d.R. nur bei geflügelten Tieren.

Mesothorax meist stärker ausgebildet als der Metathorax, wobei in Lepidopsocidae beide Thorakalsegmente miteinander zum Pterothorax fusioniert sind (Günther 2003). Meist relativ lange und dünne Beine, wobei einige Arten auch springen können (Dorypteryx domestica, Liposcelis). Larven haben immer 2 Tarsenglieder. Die Vorderflügel besitzen Pterostigmen und sind i. d. R. membranös. Oft ist das Vorhandensein und die Form der Areola postica ein bestimmungsrelevantes Merkmal. Es gibt auch brachyptere bzw. mikroptere Arten wie Mesopsocus unipunctatus oder Lachesilla greeni, sowie aptere Arten (Liposcelis). Oft unterscheiden sich auch die Geschlechter einer Art in der Ausprägung ihrer Flügel.

Abdomen besteht aus ursprünglich 10 Segmenten und dem ansetzenden Telson. Dabei sind die Tergite I und II, sowie Tergite VIII-X (= Clunium) miteinander verschmolzen. Die Genitalöffnungen der Männchen befinden sich in der Regel am 9. Sternit, die vom Weibchen am 8.Sternit.

Tab.: Die Merkmale sind aus Günther (2003) entnommen worden und gelten für die in Deutschland anzutreffenden Arten.

Merkmale

Trogiomorpha

Troctomorpha

Psocomorpha

Antennen

> 20 Glieder, keine sekundäre Ringelung

15 Glieder, mit sekundärer Ringelung

13 Glieder, keine sekundäre Ringelung

Pronotum

sichtbar

sichtbar

zwischen Kopf und Mesonotum verborgen

Tarsus (Imagines)

3 Glieder

3 Glieder

2-3 Glieder

Labialpalpus

2 Glieder

1 Glied

1 Glied

 

Bestimmung der einheimischen Arten

Mithilfe des Bestimmungsschlüssels von Lienhard (1998) für die europäische Fauna gut möglich, aber in französisch geschrieben. Günther (1974) eignet sich gut zur Bestimmung der deutschen Psocopterenfauna, wobei nicht alle heute in Sachsen vorkommenden Arten in dem Schlüssel enthalten sind (z. B. Dorypteryx domestica). Eventuell auch noch der Schlüssel von Günther & Lienhard (2011) verwendbar, aber oft nicht genau genug, um auf Artniveau zu bestimmen.

Fang- und Untersuchungsmethoden

Einzelfänge mit Federstahlpinzetten oder Pinsel. Schlagen von Vegetation in einen Klopfschirm/hellen Regenschirm. Von niedriger Vegetation keschern (Man sollte nicht so kräftig schlagen, da die Tiere zart sind und leicht beschädigt werden können). Können gelegentlich auch in Malaise-Fallen gefunden werden. Werden nicht genadelt, sondern in 70%-igen (oder höherwertigen) Ethanol gelagert.

Für die Bestimmung der Arten ist meist ein Binokular notwendig und bei einigen Arten müssen Präparate hergestellt werden (z. B. Liposcelis), um die Tiere unter einem Durchlichtmiskrop ansehen zu können. Für die eventuell notwendige Präparation der Tiere ist auf Lienhard (1998) und Günther (1974) verwiesen.

Diversität und Verbreitung

Aktuell sind etwa 6.000 Arten (Mockford 2018) bekannt. Vor allem tropische Verbreitung mit nur relativ wenigen Arten in Europa (234 Arten; Jong et al. 2014). Laut Lienhard (2016) kann man 98 Arten in Deutschland auffinden, während in Lienhard (2003) nur 95 bekannt waren. Die Unterordnung Psocomorpha enthält etwa 70 % aller Arten. Außerdem besitzt etwa ein Viertel der deutschen Psocopterenfauna eine kosmopolitische Verbreitung (Lienhard 2003). Laut Schmidt (2016) findet man mindestens 69 Arten in Sachsen.

Viele Arten kann man auf Rinde und Blättern von Bäumen und Sträuchern finden. Einige Arten kommen in Höhlen und Vögelnestern vor. Andere in der Bodenstreu oder unter Steinen. Relativ viele Arten findet man auch in menschlichen Behausungen (z. B. Liposcelis, Dorypteryx domestica, Trogium pulsatorium).

Da die meisten Psocopteren nicht an eine bestimmte Wirtspflanze gebunden sind, wird ihre Verbreitung vor allem durch klimatische Bedingungen und dem Vorkommen von Nahrung bestimmt. Es besteht jedoch eine indirekte Bindung an bestimmte Pflanzen, da Pflanzenarten unterschiedliche abiotische Bedingungen für die Entwicklung der Psocopteren bieten (Günther 1974).

Lebensweise

Die meisten Staubläuse ernähren sich von Pilzen, Flechten, Algen, Nahrungsvorräten und totem pflanzlichen, sowie tierischem Material, wobei sie ihre meißelartigen Laciniae benutzen, um Stücke des Substrats abzunagen. Einige Arten (Liposcelis) können als Schädlinge in Sammlungen und Lagerhäusern auftreten. Typisch ist, dass Staubläuse Wasser aus der Atmosphäre durch die Cibarialpumpe aufnehmen können (Synapomorphie der Psocodea) und entsprechend auf feuchte Lebensräume angewiesen sind. Da mindestens 50 Arten auch in menschlischen Behausungen vorkommen (Mockford 2018) und darin auch an eher trockenen Orten (z. B. in Insektensammlungen) zu finden sind, ist davon auszugehen, dass ein Teil der Arten auch mit weniger feuchten Bedingungen zurechtkommt.

Psocopteren weisen eine heimimetabole Entwicklung auf mit meist 6 Larvenstadien. Einige Arten wie Psococerastis gibbosa weisen ein komplexeres Sozialverhalten auf. Dabei entstehen größere Herden von Larven dieser Art, die gemeinsam Algenrasen abweiden.

Parthenogenese ist unter den Psocopteren relativ weit verbreitet, wobei unterschieden werden kann, ob diese Form der Reproduktion obligat (z. B. Valenzuela flavidus, Liposcelis bostrychophila) oder nur fakultativ (z.B. Valenzuela despaxi, Cerobasis guestfalica) ist. Die meisten Arten reproduzieren sich jedoch bisexuell (Günther 1974).

Viele Arten sind univoltin, wobei auch bivoltine- und polyvoltine Arten (z. B. Valenzuela flavidus, Amphigerontia bifasciata) existieren. Die Überwinterung findet meist als Ei statt, wobei einige Arten auch als Larven (z. B. Trichadenotecnum germanicum, Lachesilla pedicularia) oder Imagines (Liposcelis silvarum) im Freiland überwintern (Günther 1974).

Kuriositäten

Gigantopsocus metallicus (Enderlein, 1900) (Psocidae): Die größte bekannte Staublaus mit einer Körperlänge von 10 mm und einer Flügelspannweite von 25 mm (Enderlein 1900).

Peritroctes bengalensis Thornton & Wong, 1966 (Pachytroctidae), Antilopsocus nadleri Gurney, 1965 (Pachytroctidae): Weibchen dieser Arten besitzen kutikuläre Hörner bzw. Geweihe, deren Funktion nicht bekannt ist. Bei männlichen P. bengalensis sind Hörner schwächer ausgebildet. Männliche A. nadleri sind nicht bekannt. (P. bengalensis: Mockford & Young 2019; A. nadleri: García-Aldrete et al. 2016).

Neotrogla (Prionoglarididae): Höhlenbewohnende Staubläuse. Die Weibchen besitzen ein „Penis“-artiges Organ (= Gynosom) mit dem sie die Spermatophoren aus den Genitalkammern der Männchen entnehmen können. Die Weibchen konkurrieren hiermit um den Zugang zu den männlichen Spermatophoren (Yoshizawa et al. 2014).

Reticulopsocus besucheti Lienhard, 2005 (Protroctopsocidae): Beide Geschlechter dieser Art haben sklerotisierte Vorderflügel (= Elytren), wohingegen sie sich in der Flügeladerung unterscheiden und in diesem Merkmal sexualdimorph sind (Lienhard 2005).

Psilopsocus mimulus Smithers, 1963 (Psilopsocidae): Larven dieser Art bohren in Holz, wobei sie ein stark sklerotisiertes Abdomen besitzen. Eine Funktion dieser Anpassung könnte damit zusammenhängen, dass die Larven den Tunnelzugang hiermit verschließen können, um die Feuchtigkeit beizubehalten (Smithers 1995a,b).

Literatur

  • Bess, E., V. Smith, C. Lienhard & K. P. Johnson 2006: Psocodea. Parasitic Lice (=Phthiraptera), Book Lice, and Bark Lice. – The Tree of Life Web Project.
  • De Moya, R. S., K. Yoshizawa, K. K. O. Walden, A. D. Sweet, C. H. Dietrich & K. P. Johnson 2020: Phylogenomics of Parasitic and Nonparasitic Lice (Insecta: Psocodea): Combining Sequence Data and Exploring Compositional Bias Solutions in Next Generation Data Sets. – Systematic Biology.
  • Enderlein, G. 1900: Die Psociden Fauna Perus. – Zoologische Jahrbücher – Abteilung für Systematik, Geographie und Biologie der Tiere 14 (2): 133–160, Taf. 8.
  • García-Aldrete, A. N., R. González, A. Arenas-Clavijo & R. Lopes-Ferreira 2016: Rediscovery of Antilopsocus nadleri Gurney, 1965 (Psocodea, Troctomorpha, Pachytroctidae) in South America. – Check List the journal of biodiversity data 12 (5).
  • Grimaldi, D. & M. S. Engel 2005: Evolution of the insects. – Cambridge University Press.
  • Günther, K. K. 1974: Staubläuse, Psocoptera. – Die Tierwelt Deutschlands 61.– Gustav Fischer Verlag, Jena.
  • Günther, K. K. 2003: Ordnung Psocoptera (Copeognatha, Corrodentia), Staubläuse und Flechtlinge. S. 296–308. – In: A. Kästner (Hrsg.: H. H. Dathe), Lehrbuch der Speziellen Zoologie. Band I: Wirbellose Tiere. Teil 5: Insecta. – Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin.
  • Günther, K. K. &  C. Lienhard 2011: Psocoptera – Staubläuse. – in Stresemann, E. 2011: Exkursionsfauna von Deutschland. Band 2. Wirbellose: Insekten – Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg: 134-146.
  • Johnson, K. P. et al. 2018: Phylogenomics and the evolution of hemipteroid insects. – PNAS 115: 12775-12780.
  • Jong, Y. de et al. 2014: Fauna Europaea – all European animal species on the web. – Biodiversity Data Journal 2: e4034.
  • Lienhard, C. 1998: Fauna de France 83- Psocoptères Euro-Méditerranéens. – Federation Francaise des Societes de Sciences naturelles.
  • Lienhard, C. 2003: Verzeichnis der Staubläuse (Psocoptera) Deutschlands. – Entomofauna Germanica Band 6. – Entomologische Nachrichten und Berichte Beiheft 8: 54-71.
  • Lienhard, C. 2005: Description of a new beetle-like psocid (Insecta: Psocoptera: Protroctopsocidae) from Turkey showing an unusual sexual dimorphism. – Revue suisse de zoologie 112 (2): 333–349.
  • Lienhard, C. 2016: Country checklists of the Psocoptera species of the world, extracted from Lienhard & Smithers, 2002: „Psocoptera (Insecta) – World catalogue and bibliography“ – Psocid News, The Psocidologists' Newsletter, Sapporo.
  • Misof, B. et al. 2014: Phylogenomics resolves the timing and pattern of insect evolution. – Science 346: 763-767.
  • Mockford, E. L. 2018: Biodiversity of Psocoptera. S. 417-456. – In: R. G. Foottit & P. A. Adler, Insect Biodiversity: Science and Society, II. – John Wiley & Sons.
  • Mockford, E. L. & D. Young 2019: Peritroctes bengalensis Thornton and Wong in Texas, First Western Hemisphere Records and First Description of the Male, Macropterous Female, and Egg (Psocodea: 'Psocoptera': Pachytroctidae). – Entomological News 128 (3): 233-242.
  • Schmidt, C. 2016: Staubläuse (Psocodea, „Psocoptera“) in Sachsen. – Sächsische Entomologische Zeitschrift 8: 146-192.
  • Smithers, C. N. 1972: The classification and phylogeny of the Psocoptera. – The Australian Museum, Sydney.
  • Smithers, C. N. 1995a: Final instar Nymph of Psilopsocus nebulosus MOCKFORD (Psocoptera: Psilopsocidae), redescribed and compared with two wood-boring Species of the Genus. – Beiträge zur Entomologie 45 (2): 375-381.
  • Smithers, C. N. 1995b: Psilopsocus mimulus Smithers (Psocoptera: Psilopsocidae), the First Known Wood-Boring Psocopteran. – Australian Journal of Entomology 34: 117-120.
  • Thornton, I. W. B. & M. S. K. Wong 1966: Some Psocoptera of West Bengal, India. – Transactions of the Royal Entomological Society of London 118 (1).
  • Yoshizawa, K. & C. Lienhard 2010: In search of the sister group of the true lice: A systematic review of booklice and their relatives, with an updated checklist of Liposcelididae (Insecta: Psocodea). – Arthropod Systematics & Phylogeny 68 (2): 181-195.
  •  Yoshizawa, K., R. L. Ferreira, Y. Kamimura & C. Lienhard 2014: Female Penis, Male Vagina, and Their Correlated Evolution in a Cave Insect. – Current Biology 24 (9): 1006-1010.
  • Yoshizawa, K., R. L. Ferreira, I. Yao, C. Lienhard & Y. Kamimura 2018: Independent origins of female penis and its coevolution with male vagina in cave insects (Psocodea: Prionoglarididae). – Biology Letters 14: 20180533.

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Autor(-en): Michael Weingardt, Matthias Nuß. Letzte Änderung am 14.11.2021
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