Eintagsfliegen (Ephemeroptera)

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Diagnose


Namensgebung

Der Name Ephemeroptera leitet sich aus dem Griechischen von ἐφήμερος, ephemeros "kurzlebig" und πτερόν, pteron, "Flügel" ab. Er bezieht sich auf die kurze Lebensspanne des geflügelten Entwicklungsstadiums, der Adulten.

Merkmale

Adulte (= Imago)

Körperlänge (ohne Anhänge): 3 mm (Afrobaetodes pusillus) bis 50 mm (Proboscidoplocia-Arten aus Madagaskar).

Kopf: Große Komplexaugen; Männchen mancher Arten mit dorsalem Superpositions- und ventralem Appositionsauge; 3 große Ocellen. Antennen kurz, borstenförmig.
Autapomorphien: Mundwerkzeuge der Adulten verkümmert (keine Nahrungsaufnahme). Kopftracheenqueranastomose der Larven und Adulten blasig erweitert (statisches Organ).

Thorax: Vorderflügel sind Hauptflugorgane; entsprechend ist der Mesothorax vergrößert. Hinterflügel deutlich kleiner oder fehlend. Flügel mit netzartiger Aderung: sekundäre Längsadern (= Interkalaradern); in einigen Gruppen sind diese Queradern sekundär reduziert. Flügel werden in Ruhe aufrecht zusammengelegt und können nicht flach auf den Hinterleib gelegt werden. Männchen meist mit deutlich verlängerten Vorderbeinen. Zwei Stigmenpaare.

Hinterleib: Abdomenende mit langen, gegliederten Cerci und medianem Terminalfilum (manchmal reduziert oder fehlend); können Flugsteuerung und Schwebeflug unterstützen. Darm für die Verdauung funktionslos; Enddarm mit 40–100 Malpighischen Gefäßen. Acht Stigmenpaare. Paarige Geschlechtsöffnung; ♀ ohne Legeröhre. Autapomorphien: Mitteldarm reichlich mit Luft gefüllt (Turgorskelett).

Larven (= Nymphen)

Larven mit kauenden Mundwerkzeugen. L1 (Larvula) mit Hautatmung, Abdomen ohne Tracheenkiemen und ohne Terminalfilum. Spätere Larvenstadien mit nach Außen erweiterten Tracheen an den vorderen 5–7 Hinterleibssegmenten, je nach Verwandtschaftsgruppe in Gestalt von Kiemenfäden oder -blättchen. Die drei letzten Hinterleibssegmente ohne Tracheenkiemen. Hinterleibsende mit paarigen Cerci und Terminalfilum. Entsprechend dem Lebensraum der Larven gibt es folgende morphologische Ausprägungen:

  • grabende Larven (z. B. Ephemera): Vorderbeine (und manchmal Mundwerkzeuge) zum Graben umgestaltet; Körper zylindrisch, Kiemenfäden dem Körper anliegend
  • schwimmende Larven (z. B. Baetis, Siphlonurus): Kiemen meist als seitlich abstehende Blättchen; Cerci und Terminalfilum seitlich stark behaart als Antrieb beim Schwimmen
  • Steinklammerer (z. B. Heptagenia): Körper abgeplattet (geringer Strömungswiderstand), kaum schwimmfähig.

Subimago

Aus dem letzten Larvenstadium häutet sich eine meist nicht geschlechtsreife Subimago mit milchig trüben, am Hinterrand behaarten Flügeln. Je nach Verwandtschaftsgruppe häutet sich die Subimago binnen weniger Minuten oder Tage zur Imago. Bei manchen Arten erfolgt die Häutung im Flug, wobei die Flügel nicht mitgehäutet werden, bei anderen Arten (z. B. Ephoron virgo) sind die Weibchen als Subimago geschlechtsreif und häuten sich nicht ein weiteres Mal. Die nochmalige Häutung eines geflügelten Stadiums ist einmalig unter den Pterygota.

Stammesgeschichte und Systematik

Die ältesten geflügelten Insekten (Pterygota) stammen aus dem Karbon und werden in den ausgestorbenen †Palaeodictyopterida zusammengefasst (Sroka et al. 2014). Darunter ist †Delitzschala bitterfeldensis Brauckmann & Schneider, 1996 aus dem Unterkarbon (320 Mio. Jahre) eine der ältesten (die nächst ältesten Insektenfossilien sind ca. 377 Mio Jahre alte Archaeognatha, so dass eine Dokumentationslücke von über 50 Mio Jahren besteht) und mit einer Vorderflügellänge von 11 mm zugleich eine der kleinsten Vertreter (Brauckmann & Schneider 1996). †Stenodictya lobata Brongniart, 1890 aus dem Oberkarbon von Commentry in Frankreich hatte hingegen eine Flügellänge von 66 mm sowie saugende Mundwerkzeuge. Bemerkenswert an diesem Fossil ist insbesondere, dass alle drei Brustabschnitte je ein Flügelpaar aufweisen, also zusätzlich zu den meso- ("Vorderflügel") und metathorakalen ("Hinterflügel") auch prothorakale Flügel vorhanden waren (Brongniart 1890). †Bojophlebia prokopi Kukalová-Peck, 1985 mit einer Flügelspanne von fast 40 cm aus dem Oberkarbon (310 Mio. Jahre) von Mähren ist entgegen früherer Darlegungen (Kukalová-Peck 1985; Grimaldi & Engel 2005) keine Eintagsfliege (Sroka et al. 2014). Die †Palaeodictyopterida gelten als Schwestergruppe der Neoptera und sind nicht direkt verwandt mit den Odonata und Ephemeroptera (Sroka et al. 2014).

Unter den rezenten Insekten werden die Ephemeroptera + Odonata (= Palaeoptera) als ein Monophylum und Schwestergruppe zu allen übrigen geflügelten Insekten (Neoptera) angesehen. Nach älteren Hypothesen galten entweder die Ephemeroptera oder die Odonata als Schwestergruppe zu allen übrigen Insekten. Gemeinsame Merkmale der Palaeoptera bestehen in der Artikulation der Flügel, die aufgrund der kompakten Morphologie der Axillarsklerite im Flügelgelenk nicht über den Körper gelegt werden können sowie charakteristischen Merkmalen der Flügeladerung und des Kopfes. Auch molekulargenetische Analysen unterstützen die Verwandtschaftshypothese (Ephemeroptera + Odonata) + Neoptera.

Verbreitung und Diversität

Weltweit gibt es über 3.000 Eintagsfliegenarten (Brittain & Sartori 2003). Aus Europa sind 369 (Bauernfeind & Soldán 2012) sowie aus Deutschland 113 Arten nachgewiesen (Haybach & Malzacher 2003). Die rezenten Arten der Eintagsfliegen werden in über 400 Gattungen und 42 Familien klassifiziert (Barber-James et al. 2008).

Lebensweise

Die Larven leben aquatisch im Süßwasser. Die L1 (Larvula) häutet sich nach wenigen Tagen. Die weitere Entwicklung verläuft über 8–30 Häutungen in 1–3 Jahren. Es gibt grabende (z. B. Ephemera), schwimmende (z. B. Baetis, Siphlonurus) und an Steinen klammernde Larven (z. B. Heptagenia). Die Larven ernähren sich von lebender oder toter pflanzlichen Substanz (Diatomeen, Fadenalgen, Pflanzenteile), manche Arten (z. B. Ephemerellidae) ernähren sich zusätzlich (fakultativ) auch räuberisch, z. B. von Mückenlarven und Kleinkrebsen sowie manche außereuropäische Arten auch obligatorisch räuberisch. 

Das synchrone Massenschlüpfen und der anschließende Schwarmflug sichern die Begattung der kurzlebigen Tiere. Die Begattung erfolgt im Flug. Die Eiablage erfolgt auf der Wasseroberfläche sitzend, im Flug, unter Wasser oder durch Aufplatzen des Abdomens. Die Verdriftung der Larven in Fließgewässern erfordert einen Kompensationsflug der Weibchen flussaufwärts. Massenflüge (die an Schneegestöber erinnern) von Eintagsfliegen waren an mitteleuropäischen Flüssen noch bis in die 1930er Jahre bekannt. Das Phänomen wird in Unkenntnis der natürlichen Zusammenhänge oft als Katastrophe bezeichnet.

Literatur

  • Barber-James, H. M., J.-L. Gattolliat, M. Sartori, M. D. Hubbard 2008: Global diversity of mayflies (Ephemeroptera, Insecta) in freshwater. – Hydrobiologie 595 (1): 339–350.
  • Bauernfeind, E. 1994: Bestimmungsschlüssel für die österreichischen Eintagsfliegen – Wasser und Abwasser, Suppl. 4: 1–92.
  • Bauernfeind, E. & U. H. Humpesch 2001: Die Eintagsfliegen Zentraleuropas (Insecta: Ephemeroptera): Bestimmung und Ökologie – Diverse Verlagsschriften des Naturhistorischen Museums Wien 4: 1–239.
  • Bauernfeind, E. 2003: Ordnung Ephemeroptera, Eintagsfliegen. S. 108–120. – In: H. H. Dathe, Lehrbuch der Speziellen Zoologie. Band 1: Wirbellose Tiere. 5. Teil: Insecta. – Spektrum Akademischer Verlag und Gustav Fischer Verlag Jena.
  • Bauernfeind, E. & T. Soldán 2012: The Mayflies of Europe. – Apollo Books, Stenstrup. 781 S.
  • Blanke, A., B. Wipfler, H. Letsch, M. Koch, F. Beckmann, R. G. Beutel & B. Misof 2012: Revival of Palaeoptera – head characters support a monophyletic origin of Odonata and Ephemeroptera (Insecta). – Cladistics 28: 560–581.
  • Braasch, D. 1995: Kommentiertes Verzeichnis der Eintagsfliegen (Ephemeroptera) des Freistaates Sachsen. – Mitteilungen Sächsischer Entomologen 29: 11–14.
  • Brauckmann, C. & J. Schneider 1996: Ein unter-karbonisches Insekt aus dem Raum Bitterfeld/Delitzsch (Pterygota, Arnsbergium, Deutschland). – Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie Monatshefte 1996 (1): 17–30.
  • Brittain, J. E. & M. Sartori 2003: Ephemeroptera (Mayflies). S. 373–380. – In: V. H. Resh & R. T. Cardé, Encyclopedia of Insects. Academic Press, Amsterdam.
  • Brongniart, C. 1890: Note sur quelques insectes fossiles du terrain houiller qui présentent au prothorax des appendices aliformes. – Bulletin de la Société Philomathique de Paris, Huitième Série 2:154–159.
  • Eiseler, B. 2005: Bildbestimmungsschlüssel für die Eintagsfliegenlarven der deutschen Mittelgebirge und des Tieflandes. – Lauterbornia 53: 1–112.
  • Grimaldi, D. & M. S. Engel 2005: Evolution of the insects. – Cambridge University Press.
  • Harker, J. E. 1992: Swarm behaviour and mate competition in mayfies (Ephemeroptera). – Zoology 228: 571–587.
  • Haybach, A. 2006: Die Eintagsfliegen von Rheinland-Pfalz. – Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv, Beiheft 29.
  • Haybach, A. & P. Malzacher 2003: Verzeichnis der Eintagsfliegen (Ephemeroptera) Deutschlands. – Entomofauna Germanica 6: 33–46.
  • Kukalová-Peck, J. 1985: Ephemeroid wing venation based upon new gigantic Carboniferous mayflies and basic morphology, phylogeny, and metamorphosis of pterygote insects (Insecta, Ephemerida). – Canadian Journal of Zoology 63(4):933–955.
  • Küttner, R. & D. Braasch 2002: Kommentiertes Verzeichnis der Eintagsfliegen (Ephemeroptera) des Freistaates Sachsen (2. Fassung) mit Neufunden für Sachsen. – Mitteilungen Sächsischer Entomologen 59: 3–8.
  • Liegeois, M., Sartori, M. & T. Schwander 2019: Extremely widespread parthenogenesis and a trade-off between alternative forms of reproduction in mayflies (Ephemeroptera). - BioRχiv the preprint server for biology
  • Morinière, J., L. Hendrich, M. Balke, A. J. Beermann, T. König, M. Hess, S. Koch, R. Müller, F. Leese, P. D. N. Hebert, A. Hausmann, C. F. Schubart & G. Haszprunar 2017: A DNA barcode library for Germany′s mayflies, stoneflies and caddisflies (Ephemeroptera, Plecoptera & Trichoptera). – Molecular Ecology Resources 17: 1293–1307.
  • Orendt, C., J. Schönfelder & D. Langner 2019: Revised overview of the mayflies (Ephemeroptera) in Brandenburg state (Germany, Central European Lowlands) after 11 years of running water monitoring – Checklist, revised Red List and distribution data. – Lauterbornia 86: 61–77.
  • Sroka, P., A. H. Staniczek & G. Bechly 2014: Revision of the giant pterygote insect Bojophlebia prokopi Kukalova-Peck, 1985 (Hydropalaeoptera: Bojophlebiidae) from the Carboniferous of the Czech Republic, with the first cladistic analysis of fossil palaeopterous insects. – Journal of Systematic Palaeontology 13 (11): 963–982.
  • Staniczek, A. H. 2003: Eintagsfliegen - Manna der Flüsse. – Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde Serie C, 53: 79 S.
  • Studemann, D., Landolt, P., Sartori, M., Hefti, D. and I. Tomka. 1992. Ephemeroptera. – Insecta Helvetica Fauna 9. – Imprimerie Mauron + Tinguely & Lachat SA, Fribourg, 175 S.
  • Voigt, H., R. Küttner & B. Plesky 2017: Rote Liste und Artenliste Sachsens - Eintagsfliegen. – Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Freistaat Sachsen. 28 S.
  • Wichard, W., W. Arens & G. Eisenbeis 1995: Atlas zur Biologie der Wasserinsekten. – Gustav Fischer, Stuttgart.

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Autor(-en): Matthias Nuß. Letzte Änderung am 25.01.2023
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