Berghexe (Chazara briseis (Linnaeus, 1764))

DE Deutschland , DE-SN Sachsen Druckansicht

Diagnose

Vorderflügellänge 27–34 mm.

Flügeloberseiten hellbraun, Vorderflügel mit weißem Vorderrand, die weißen Binden unregelmäßig angeordnet und auf dem Hinterflügel verwaschen.

Flügelunterseiten hellbraun, Vorderflügel mit zwei kontrastreichen dunklen Augenflecken und einem deutlichen schwarzen Mittelfleck. Hinterflügel weißlich braun, mit zwei großen braunen Flecken vor der Basis sowie einer braunen Binde parallel zum Außenrand verlaufend; die Männchen kontrastreicher gezeichnet als die Weibchen.

Ähnliche Arten: Der Weiße Waldportier (Brintesia circe) oberseits dunkelbraun, mit regelmäßiger verlaufenden Binden, unterseits der Hinterflügel mit einer weißen Binde von der Mitte des Vorderrandes zur Flügelmitte. Beim Kleinen Waldportier (Hipparchia alcyone) die Oberseiten mit bräunlich verwaschenen, weißen Binden und der Innenrand der Binde auf dem Hinterflügel leicht gewinkelt; Hinterflügel unterseits ohne weiße Binde von der Mitte des Vorderrandes zur Flügelmitte.

Gesetzlicher Schutz und Rote Liste

Gesetzlicher Schutz (BArtSchV, BNatSchG): besonders geschützt
Rote Liste Sachsen: ausgestorben oder verschollen (1976)
Rote Liste Deutschland: vom Aussterben bedroht

Merkmale

Die Weibchen der Berghexe erreichen eine Flügelspannweite von etwa 55 mm. Auf der Unterseite der Vorderflügel wiederholt sich etwas kontrastreicher sowohl die Färbung der Oberseite als auch die Augenflecke, die die Berghexe als einen Vertreter der Augenfalter ausweisen. Besonders die Basis der Flügelunterseiten zeichnet sich durch eine bräunliche Marmorierung mit dunklen abgegrenzten Flecken aus.
An der Färbung der Hinterflügelunterseite lassen sich Männchen und Weibchen unterscheiden (Sexualdimorphismus). Die Weibchen besitzen einen fein hellbraun bis grau marmorierten Hinterflügel mit einer schwachen hellen Postdiskalbinde, während diese Binde bei den Männchen eine fast weiße Färbung besitzt. Außerdem befinden sich bei den Männchen in der Basis der Hinterflügel dunkelbraun abgesetzte Flecken und der Außenrand der Flügel wird durch unterschiedlich braun gefärbte Binden geprägt. Als weitere Merkmale des Sexualdimorphismus fallen auf der Vorderflügeloberseite bei den Weibchen die Augenflecke größer und die helle Postdiskalbinde breiter aus als bei den Männchen.

Verbreitung

Das Areal der Berghexe erstreckt sich von Nordafrika und der Iberischen Halbinsel über Süd- und Mitteleuropa ostwärts bis nach Innerasien. Im Süden ist die Berghexe bis nach Italien und Sizilien sowie auf der Balkanhalbinsel verbreitet (Ebert & Rennwald 1993).
In Deutschland liegt der Verbreitungsschwerpunkt eher in den westlichen Bundesländern (Settele et al. 2009). An der Saale bei Halle stößt die Art an ihre nordöstliche Verbreitungsgrenze (Settele et al. 2009). Sachsen stellte damit schon immer einen Arealvorposten dar. Historisch kam die in Sachsen schon immer seltene Berghexe vor allem im Tief- und Hügelland vor, wobei die letzten Nachweise aus den 1970er Jahren stammen (Reinhardt et al. 2007).

Lebensweise

Die Berghexe bildet eine Generation, deren Falter von Mitte Juli bis Mitte September fliegen (Ebert & Rennwald 1993; Settele et al. 2009). Beobachtungen der Nahrungsaufnahme der Falter stammen von Kratzdistel-Arten (Cirsium spec.), Mannstreu (Eryngium spec.), Acker-Witwenblume (Knautia arvensis) und Braunelle (Prunella spec.) (Ebert & Rennwald 1993; Reinhardt et al. 2007). Im Freiland zeigt die Berghexe eine enge Bindung an windgeschützte Felsen (Ebert & Rennwald 1993). An diesen ruhen die Tiere mit zusammengeklappten, genau senkrecht zur Sonne ausgerichteten Flügeln (seitliche Absorptionssonner) (Ebert & Rennwald 1993). An solchen Felsen oder kleinen Steinen findet ebenfalls die Nachtruhe statt (Ebert & Rennwald 1993).
Ein besonders Merkmal der Berghexe stellt die lange Präovipositionszeit (Abstand zwischen der Kopulation und ersten Eiablage) der Weibchen von mindestens 11 bis zu 32 Tagen dar (Garcia-Barros 2000; Kadlec et al. 2010). Trotz einer sehr langen Lebensdauer von 21 bis 42 Tagen, sterben über die Hälfte der Weibchen bevor sie überhaupt bzw. den größten Teil ihrer Eier ablegen (Garcia-Barros 2000; Kadlec et al. 2010). Bei dieser Eireifung handelt es sich um einen physiologischen Prozess, der durch äußere Einflüsse keine Beschleunigung erfährt (Kadlec et al. 2010). Viele Augenfalterarten besiedeln Lebensräume mit einer ausgeprägten Sommertrockenheit, sodass den Larven zu dieser Zeit nur ein schlechtes Futterangebot zur Verfügung stehen würde. Vor diesem Hintergrund gilt die lange Präovipositionszeit als ein möglicher Anpassungsmechanismus an die Lebensraumbedingungen (Garcia-Barros 1988). Kadlec et al. (2009, 2010) verweisen darauf, dass die Eiablage mit dem ersten Herbstregen erst spät im August einsetzt, obwohl die Falter schon wesentlich eher fliegen.
Die Eiablage erfolgt einzeln und bodennah an dürren Grasblättern (Kadlec et al. 2010; Reinhardt et al. 2007; Settele et al. 2009). Zu den Wirtspflanzen der Larven gehören Kalk-Blaugras (Sesleria albicans), Aufrechte Trespe (Bromus erectus) und Schafschwingel (Festuca ovina agg.) (Ebert & Rennwald 1993). Während des ersten oder zweiten Larvenstadiums findet die Überwinterung statt (Settele et al. 2009). Im Frühjahr wachsen die Larven der Berghexe im Vergleich zu anderen Augenfalterarten sehr langsam (Weidemann 1988). Die nachtaktiven bis zu 40 mm großen Larven besitzen eine graubraune Grundfarbe mit an den Segmenten unterbrochenen braunen Längsstreifen sowie einem fast schwarzen Streifen auf der Rückenlinie (Kadlec et al. 2009; Settele et al. 2009; Weidemann 1988). In der Nähe von Grashorsten unter der Erde findet die Verpuppung in einem Kokon statt (Weidemann 1988).

Lebensräume

Zu den klassischen Lebensräumen der Berghexe gehören trocken-heiße Mager- und Trockenrasen mit lückiger und kurzrasiger Vegetation sowie mit geröll- oder felsdurchsetzten Stellen (Ebert & Rennwald 1993; Settele et al. 2009). Dabei kann es sich um steinige Hänge mit Geröllrinnen, offene Kalkschuttfluren, buschreiche Hänge und Kuppen oder als Sekundärlebensraum um Steinbrüche handeln (Ebert & Rennwald 1993).
Besonders die Larven sind auf lückige und kurze Vegetationsbestände oder noch frühere Stadien der Sukzession in Form von offenem Rohboden angewiesen (Ebert & Rennwald 1993; Kadlec et al. 2009; Settele et al. 2009).

Bestandssituation

Die Berghexe ist in den letzten Jahrzehnten in ihrem nördlichen Verbreitungsgebiet stark zurückgegangen und in allen Ländern nördlich der Alpen in ihrem Bestand gefährdet (Kadlec et al. 2010). Dieser weiträumige Rückgang geht auf den Verlust oder die Veränderung der Lebensräume zurück, ausgelöst durch den dramatischen Rückgang der Schafbeweidung und die damit verbundenen Vegetationsveränderungen (Kadlec et al. 2010).
Dennoch bleiben die Faktoren für die Regression dieser Augenfalterart zuweilen unklar, denn die Lebensräume einiger zurückgegangener oder ausgestorbener Populationen haben sich augenscheinlich nicht verändert (Ebert & Rennwald 1993, Kadlec et al. 2010).
Als zusätzlicher Gefährdungsfaktor spielt wahrscheinlich die lange Präovipositionszeit und damit die geringe Anzahl der abgelegten Eier pro Weibchen eine Rolle (Kadlec et al. 2010). Im Vergleich zu anderen Tagfalterarten müssen die Populationen eine sehr hohe Individuendichte mit einem hohen Anteil an Weibchen besitzen, um die Reproduktion zu sichern (Kadlec et al. 2009, 2010). Besonders bei schlechter Witterung wird dies schwierig, weil die Falter unter diesen Bedingungen eine höhere Mortalität besitzen. Als Folge können starke Abundanzschwankungen oder lokale Aussterbeereignisse auftreten. Bisher untersuchte Populationen weisen jedoch keinen genetischen Flaschenhals auf, der auf ein solches Ereignis schließen lässt (Kadlec et al. 2010).
Der Habitatanspruch für überlebensfähige Populationen der Berghexe liegt bei mindestens einem Hektar (Settele et al. 2009).

Historisch besaß Chazara briseis zahlreiche Vorkommen im sächsischen Hügelland, doch ging ihr Bestand schon seit Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Die letzten Belegexemplare stammen aus dem Jahr 1964 vom Bienitz bei Leipzig, die letzte Beobachtung aus der Umgebung von Waldbarbau aus dem Jahr 1976. Seither gilt die Art in Sachsen als ausgestorben (Reinhardt et al. 2007).

Literatur

  • Ebert, G. & E. Rennwald 1993: Die Schmetterlinge Baden-Württembergs. Band 2: Tagfalter II. – Eugen Ulmer, Stuttgart. 535 S.
  • Garcia-Barros, E. 2000: Comparative data on the adult biology, ecology and behavior of species belonging to the genera Hipparchia, Chazara and Kanetisa in central Spain (Nymphalidae: Satyrinae). – Nota Lepidopterologica 23 (2): 119–140.
  • Garcia-Barros, E. 1988: Delayed ovarian maturation in the butterfly Hipparchia semele as a possible response to summer drought. – Ecological Entomology 13 (4): 391–398.
  • Kadlec, T., Vrba, P. & P. Kepka 2009: Microhabitat requirements of caterpillars of the critically endangered butterfly Chazara briseis (L.) (Nymphalidae, Satyrinae) in the Czech Republic – Nota Lepidopterologica 32 (1): 39-46.
  • Kadlec, T., Vrba, P., Kepka, P., Schmitt, T. & M. Konvicka 2010: Tracking the decline of the once-common butterfly: delayed oviposition, demography and population genetics in the hermit Chazara briseis – Animal Conservation 13: 172-183.
  • Reinhardt, R., Sbieschne, H., Settele, J., Fischer, U. & G. Fiedler 2007: Tagfalter von Sachsen. – In: B. Klausnitzer & R. Reinhardt, Beiträge zur Insektenfauna Sachsens. – Entomologische Nachrichten und Berichte, Beiheft 11, Dresden. 695 S.
  • Settele, J., R. Feldmann & R. Reinhardt 1999: Die Tagfalter Deutschlands. – Eugen Ulmer, Stuttgart. 452 S.
  • Settele, J., Steiner, R., Reinhardt, R., Feldmann, R. & G. Hermann (Hrsg.) 2009: Schmetterlinge. Die Tagfalter Deutschlands. 2. Aufl. – Ulmer, Stuttgart. 256 S.
  • Weidemann, H.-J. 1988: Tagfalter. Band 2 Biologie - Ökologie - Biotopschutz. – Neumann-Neudamm, Melsungen. 372 S.

Links

Autor(-en): Susanne Kurze, Matthias Nuß, Gregor Kunert. Letzte Änderung am 29.06.2020

Männchen der Berghexe vom 27. Juli 1925 vom Katzenberg, Schieritz bei Meißen, leg. J. Skell. Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden
(© Matthias Nuß)


Männchen der Berghexe vom 27. Juli 1925 vom Katzenberg, Schieritz bei Meißen, leg. J. Skell. Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden. Flügelunterseiten
(© Matthias Nuß)


Weibchen der Berghexe vom 27. Juli 1925 vom Katzenberg, Schieritz bei Meißen, leg. J. Skell. Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden
(© Matthias Nuß)


Weibchen der Berghexe vom 27. Juli 1925 vom Katzenberg, Schieritz bei Meißen, leg. J. Skell. Senckenberg Museum für Tierkunde Dresden. Flügelunterseiten
(© Matthias Nuß)


Berghexe, gefunden am Hang des Rana (Tschechische Republik) auf einem kontinentalen Steppentrockenrasen im Juli 2017
(© Tommy Kästner)


Berghexe im August 1990 auf einer Skabiosenflockenblume im NSG "Schwellenburg" (Thüringen)
(© Michael Münch)


Berghexe oben weiblich, unten männlich, NSG Ipf (Baden-Württemberg), August 2021
(© Tilmann Adler)
Login
Termine (Archiv)
Statistik
  • 524684 Beobachtungen
  • 260289 Onlinemeldungen
  • 3428 Steckbriefe
  • 191713 Fotos
  • 8613 Arten mit Fund
  • 5898 Arten mit Fotos

      

Verwendung von Cookies

Wir verwenden Cookies ausschließlich, um diese Website für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.