Marienkäfer (Coccinellidae Latreille, 1807)

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Diagnose

Körper: 1,3–10 mm (weltweit 0,8–28 mm) lang; rund, oval oder länglich oval (Frontalebene) sowie dorsal aufgewölbt und ventral flach (Sagittalebene). 

Kopf: Komplexaugen groß; Fühler aus 7–11 Segmenten bestehend, dicht unter dem Seitenrand der Stirn vor den Augen eingelenkt.

Thorax: Halsschild (Pronotum) vergrößert, den gesamten Thorax und mehr oder weniger auch den Kopf bedeckend. Die Beine können ventral in Vertiefungen gelegt werden; Tarsen (drei-) viergliedrig, das sehr kleine dritte Glied in der Ausrandung des zweiten Gliedes. Vorderflügel (Elytren) stark sklerotisiert, unterschiedlich gefärbt und bei einigen Arten mit großer Variabilität in Färbung und Zeichnung. Hinterflügel membranös, mehrfach gefaltet und unter den Vorderflügeln liegend. 

Hinterleib: Bestehend aus 10 Segmenten, aber ventral je nach Art nur 5–7 Segmente sichtbar; A1 ventral mit einem höckerförmigen Vorsprung, der zwischen die Hüften (Coxen) der Hinterbeine reicht.

Stammesgesichte und Systematik

Weltweit sind etwa 6.000 Marienkäferarten bekannt, von denen 260 in Europa sowie 78 in Deutschland (Klausnitzer & Klausnitzer 1997; Köhler & Klausnitzer 1998; Ślipiński & Tomaszewska 2010) bzw. 71 in Sachsen vorkommen (Klausnitzer 2020).

Die Marienkäfer werden in zwei Hauptgruppen, die Microweiseinae und Coccinellinae klassifiziert (Ślipiński & Tomaszewska 2010).

Die Microweiseinae umfassen 23 Gattungen mit etwa 150 Arten. Dazu gehören die Microweiseini mit 7 Gattungen und etwa 50 Arten, die vom südlichen Kanada bis Chile vorkommen, 2 Gattungen mit drei Arten im südlichen Afrika und im Mediterraneum sowie eine monotypische Gattung in Queensland. Carinodulini, Serangiini und Sukunahikonini sind pantropisch verbreitet (Escalona & Ślipiński 2012; Jałoszyński & Ślipiński 2014).

Die Coccinellinae werden traditionell in fünf Tribus klassifiziert: Coccinellini, Discotomini, Halyziini (= Psylloborini), Singhikaliini und Tytthaspidini (inkl. Bulaeini), doch zeigen molekulargenetische Analysen, dass diese Klassifikation nicht die natürliche Verwandtschaft widerspiegelt. So sind die Chilocorini Schwestergruppe der Coccinellini und letztere weisen drei Verwandtschaftsgruppen auf. Clade 1 enthält u.a. die Gattung Adalia, Clade 2 die Gattungen Anisosticta, Coccinella, Coccinula, Oenopia und Tytthaspis sowie Clade 3 die Gattungen Anatis, Aphidecta, Calvia, Halyzia, Harmonia, Hippodamia, Myzia, Propylea und Psyllobora. Clade 2 repräsentiert mit Coccinella die eigentlichen Coccinellini und enthält außerdem die Tytthaspidini. Für Clade 1 ist kein Tribusname verfügbar und in Clade 3 sind die drei Tribus Discotomini Mulsant, 1850, Halyziini Mulsant, 1846 und Singhikaliini Miyatake, 1972 vertreten. Die Analysen der molekulargenetischen Daten legen nahe, dass die traditionelle Klassifizierung der Coccinellini durch Konvergenz in morphologischen Merkmalen in die Irre geführt wurde. Die Evolutionsgeschichte der Coccinellini war sehr dynamisch in Bezug auf Änderungen der Wirtspräferenzen, wobei mehrere unabhängige Wirtswechsel von verschiedenen Insektenordnungen zu Pilzsporen und Pflanzengeweben erfolgten. Eine allgemeine räuberische Ernährung von Blattläusen erlaubte eine leichte Anpassung an unterschiedliche oder spezielle Nahrung (z. B. obligatorische Mykophagie, Herbivorie, räuberische Ernährung von Hemiptera oder Larven der Blattkäfer (Chrysomelidae)). Die im Allgemeinen langlebigen Adulten von Coccinellini können Pollen und Blumennektare verzehren, wodurch Zeiten mit ungenügendem Beuteangebot überstanden werden können. Diese Fähigkeit könnte eine zentrale Rolle in der Diversifizierungsgeschichte der Coccinellini gespielt haben. Die räuberische Ernährung von Schildläusen, wie sie bei rezenten Chilocorini auftritt, dürfte ein ursprüngliches Merkmal der Coccinellini darstellen (Escalona et al. 2017). Die phylogenetischen Beziehungen der Familiengruppen der Epilachnini Mulsant, 1846, Aspidimerini Weise, 1900, Noviini Mulsant, 1846, Sticholotidini Weise, 1887 und Coccidulini Mulsant, 1846 bedürfen weiterer Untersuchungen und eine Revision der Klassifikation der Coccinellinae scheint notwendig. Die Epilachnini wurden von Szawaryn et al. (2015) und Tomaszewska & Szawaryn (2016) bearbeitet.

Lebensweise

68% der heimischen Marienkäferarten (Scymnus, Platynaspini, Coccidulini, Coccinellini) ernähren sich räuberisch von Blattläusen (Aphidoidea), weitere 18% (Nephus, Hyperaspini, Noviini) von Schildläusen (Coccoidea), wobei manche Marienkäfer sowohl Blatt- als auch Schildläuse fressen. Andere Marienkäferarten sind hoch spezialisiert auf Spinnmilben (Stethorus pusillus), Mottenschildläuse (Clitostethus arcuatus) oder Blattflöhe (Calvia quatuordecimguttata). Hingegen ernähren sich die Halyziini (= Psylloborini) von Schlauchpilzen (Ascomycota) sowie die Epilachninae von Bedecktsamern (Magnoliophyta). Bei den räuberischen Marienkäferarten kommt es zu Kannibalismus. Die genannten Nahrungspräferenzen betreffen sowohl die Larven als auch die Adulten. Zusätzlich ist die Aufnahme von Pollen durch adulte Marienkäfer belegt (Klausnitzer & Klausnitzer 1997: 106 ff.; Ślipiński & Tomaszewska 2010).

Weltweit betrachtet sind die Beziehungen zwischen Marienkäfern und Ameisen sehr vielgestaltig und artspezifisch verschieden. Sie umfassen (1) die Konkurrenz zwischen Ameisen, die den Honigtau der Blattläuse melken und Marienkäfern, die räuberisch von Blattläusen leben, (2) Marienkäfer, die Ameisen fressen, (3) Ameisen die Marienkäfer fressen (Majerus et al. 2007) und (4) Marienkäfer, die obligatorisch myrmecophil leben, ohne Ameisen oder deren Brut zu verzehren (Orivel et al. 2004). 

Betrachtungen zu Aggregationen und zur Dormanz der Marienkäfer, insbesondere in der nördlichen Hemisphäre, waren lange Zeit zu sehr auf das Überleben während des Winters reduziert. Nach und nach wurde deutlich, dass neben klimatischen Faktoren auch andere Umweltfaktoren, vor allem die Nahrungsverfügbarkeit, entscheidende Auslöser für saisonale Migrationen, periodische Nahrungsaufnahme und alternierende Nahrungsressourcen, kleinere Sommer- und größere Winteraggregationen sowie die Diapause sind (Ślipiński & Tomaszewska 2010).

Verteidigungsstrategien der Marienkäfer umfassen Warnfarben, Reflexblutungen, Tarnung durch Wachsausscheidungen oder kryptische Färbungen sowie Miniaturisierung des Körpers. Bei Störungen stellen sich Marienkäfer tot und lassen sich herunterfallen (Ślipiński & Tomaszewska 2010). 
Reflexblutungen entstehen bei den adulten Käfern durch die Ausscheidung von Sekreten an den Gelenken von Tibia und Femur sowie bei den Larven von dorsalen Drüsen oder intersegmentalen Poren. Reflexblutungen sind meist gekoppelt an Arten, die größer sind und Warnfarben aufweisen. Die ausgeschiedenen Sekrete können bitter, giftig und stark riechend sein. Sie basieren (zumindest teileweise) auf Pyrazin und fungieren als Repellents, nur wenige sind giftig und enthalten Alkaloide, wie zum Beispiel Adalin in Adalia und Coccinellin in Coccinella (Ślipiński & Tomaszewska 2010). 

Artbestimmung

Für die Artbestimmung können die englischsprachigen Bücher von Roy & Brown (2018) und Nedvěd (2020) sowie die Bestimmungshilfe von INSEKTEN SACHSEN empfohlen werden.

Literatur

  • Brakefield, P. M. 1985: Polymorphic Müllerian mimicry and interactions with thermal melanism in ladybirds and a soldier beetle – a hypothesis. – Biological Journal of the Linnean Society 26: 243–267.
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  • Durieux, D., F. J. Verheggen, A. Vandereycken, É. Joie & É. Haubruge 2010: Synthèse bibliographique : l’écologie chimique des coccinelles. – Biotechnologie et Agronomie Societe et Environment 14 (2): 351–367.
  • Escalona, H. E. & A. Ślipiński 2012: Generic revision and phylogeny of Microweiseinae (Coleoptera: Coccinellidae). – Systematic Entomology 37 (1): 125–171.
  • Escalona, H. E., A. Zwick, H.-S. Li, J. Li, X. Wang, H. Pang, D. Hartley, L. S. Jermiin, O. Nedvěd, B. Misof, O. Niehuis, A. Ślipiński & W. Tomaszewska 2017: Molecular phylogeny reveals food plasticity in the evolution of true ladybird beetles (Coleoptera: Coccinellidae: Coccinellini). BMC Evolutionary Biology 17: 151.
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  • Hodek, I., H. F. van Emden & A. Honěk 2012: Ecology and Behaviour of the Ladybird Beetles (Coccinellidae). – Blackwell Publishing Ltd., 561 S.
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Autor(-en): Matthias Nuß. Letzte Änderung am 31.12.2023
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