Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata (Say, 1824))

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Diagnose

Körperlänge: 7–15 mm.

Kopf: gelb bis orange, mit schwarzen Flecken.

Thorax: Halsschild gelb bis orange mit schwarzen Flecken; Flügeldecken weiß bis hellgelb und mit zehn dunklen Längsstreifen (Name!).

Die adulten Käfer sind unverwechselbar.

Gesetzlicher Schutz und Rote Liste

Nomenklatur

Doryphora 10-lineata Say, 1824: 453.

Merkmale

Verbreitung

Die Art wurde ursprünglich aus den Gebieten des Upper Missouri Rivers und des Arkansas Rivers in den USA beschrieben (Say 1824). Entgegen anderer Hypothesen darf diese Region als das ursprüngliche, natürliche Verbreitungsgebiet dieser Käferart angesehen werden (Neck 1983; Izzo et al. 2018). Erste Schäden an Kartoffeln wurden 1859 in Nebraska registriert, von wo sich der Kartoffelkäfer nach Osten ausbreitete und schon 1874 die Atlantikküste erreichte (Königlich-Preußisches Ministerium für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten 1875).

Erste Sichtungen in Europa erfolgten 1876 in Bremen, 1877 in Liverpool und Rotterdam sowie in Deutschland in Mülheim am Rhein und Schildau bei Torgau (Gerstaecker 1877; Castellan 1943; Gratwick 1992). In Schildau war der Kartoffelkäfer derart häufig, dass Gerstaecker (1877) von einem Befall seit dem Vorjahr ausgeht. Es gelang zunächst immer wieder, die Art regional auszurotten (#).

Im Juni 1922 wurde der Kartoffelkäfer erstmals in Frankreich nordwestlich Bordeaux entdeckt, wo er zu dieser Zeit bereits ein Gebiet von 250 Quadratkilometern besiedelte (Castellan 1943). In den 1920er und 1930er Jahren breitete sich der Kartoffelkäfer in ganz Frankreich aus, erreichte 1936 Belgien, Luxemburg und Westdeutschland sowie 1937 die Schweiz (Castellan 1943). 1950 erreichte der Kartoffelkäfer Ostdeutschland (#) und 1958 die Westgrenze der Sowjetunion (Bieńkowski et al. 2018). Östlich reichen die Vorkommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Russland bis in die Region Krasnoyarsk und isoliert in die Region Primorje sowie über die Türkei und den Iran bis nach Mittelasien (Bieńkowski et al. 2018). 1993 wurde die Art erstmals in China, in der Provinz Xinjiang, nachgewiesen (Liu et al. 2012).

Grapputo et al. (2005) untersuchten die genetische Variabilität nordamerikanischer und europäischer Populationen anhand mitochondrialer DNA (mtDNA) und Markern für amplifizierten Fragmentlängenpolymorphismus (AFLP). Sie fanden die höchste genetische Vielfalt in Populationen aus den zentralen Vereinigten Staaten. Europäische Populationen enthielten eindeutig nur einen Bruchteil dieser genetischen Variabilität, mit einer signifikanten Reduktion an nuklearen Markern (AFLPs) und nur einem mitochondrialen Haplotyp. Dies lässt auf ein einziges erfolgreiches Gründerereignis oder auf eine mehrfache Einführung desselben Haplotyps schließen.

In Europa ist der Kartoffelkäfer heute weit verbreitet, fehlt aber z. B. in Irland, Zypern und Malta (GBIF, PESI). In Großbritannien wurde die Art nach vielfacher Einschleppung weit mehr als 100 Mal wieder ausgerottet (Aitkenhead 1981; Gratwick 1992).

Mit der Ausbreitung des Kartoffelkäfers in Europa während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dieser vielfach für propagandistische Zwecke missbraucht. Einen Überblick geben z. B. die Sonderausstellung „Der Amikäfer“ im Schulmuseum Lohr am Main, die vom 31. Oktober 2010 bis 6. März 2011 stattfand oder der Ausstellungsband von Körner (1992). In der DDR wurde behauptet, dass US-Flugzeuge große Mengen Kartoffelkäfer abwarfen (Anonym 1950). 

Lebensweise (#)

Als ursprüngliche Nahrungspflanze dieser Käferart gilt der Stachel-Nachtschatten (Solanum rostratum). Erst durch die Ausweitung des  Kartoffelanbaus kam der Käfer mit der Kartoffel (Solanum tuberosum) in Kontakt. Weitere Nachtschattengewächse werden als Nahrungspflanzen genannt, u. a. Aubergine (Solanum melongena), Bittersüßer Nachtschatten (Solanum dulcamara), Paprika (Capsicum), Tabak (Nicotiana) und Tomaten (Solanum lycopersicum). Larven und Käfer fressen an den Blättern der Pflanzen.

Hare (1983) zeigte in einem Feldexperiment, dass 40–67 % der erwachsenen Weibchen der ersten Generation, die an Solanum dulcamara heranwuchsen, in die Diapause eintraten, ohne sich zu vermehren, während Individuen, die an S. tuberosum heranwuchsen, unmittelbar eine zweite Generation im gleichen Jahr hervorbringen. Die Überlebensrate unterschied sich in diesen beiden Varianten nicht signifikant und war für die Zeit der ersten Generation positiv mit der Nährstoffqualität der Blätter (extrahierbares Protein und eine freie Aminosäure) und in der zweiten Generation signifikant negativ mit dem Blattglykoalkaloidgehalt assoziiert. Somit war die jahreszeitliche Variation der Eignung von S. dulcamara für das Überleben von L. decemlineata am stärksten mit den beiden saisonal variabelsten phytochemischen Faktoren von S. dulcamara verbunden.

Ein Weibchen legt in einem Zeitraum von vier bis fünf Wochen bis über 500 Eier ab. Die Eiablage erfolgt an der Blattunterseite in Gelegen von etwa 30 Eiern. Die Eier sind dunkelgelb bis orange. Die Larvalentwicklung erfolgt über vier Stadien. Die Verpuppung findet im Boden statt. Im Verlauf einer Vegetationsperiode können sich ein bis zwei Generationen entwickeln. Die adulten Käfer überwintern im Boden. Die Entwicklung vom Ei bis zum Adultstadium kann unter günstigen Bedingungen in nur 21 Tagen stattfinden. 

Die auffällige Färbung der Käfer ist eine Warntracht (Aposematismus), die in Kombination mit einem unangenehm schmeckenden Wehrsekret steht, das bei Gefahr ausgeschieden wird. 

Lebensräume

Bestandssituation

Wirtschaftliche Bedeutung

Der Kartoffelkäfer kann auf Kartoffelfeldern hohe Individuenzahlen hervorbringen und Kahlfraß an den grünen Pflanzenteilen verursachen (#).

Der erstmalige Einsatz von Kupfer(II)-arsentiacetat (Schweinfurter Grün, Pariser Grün) 1864 in den USA zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers markiert den Beginn des industriellen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft (Gauthier et al. 1981).

Der Kartoffelkäfer entwickelt schnell Resistenzen gegen Insektizide (Hare 1990; Alyokhin et al. 2008).

Eine Regulierung des Kartoffelkäfers ist im Ökolandbau z. B. mit einer zeitlich versetzten Anwendung von Neem und Bacillus thuringiensis var. tenebrionis möglich (Kühne et al. 2009). Im Haus- und Kleingarten empfiehlt sich das manuelle Absammeln von Eigelegen, Larven und adulten Käfern.

Literatur

  • Aitkenhead, P. 1981: Colorado beetle - recent work in preventing its establishment in Britain. – Bulletin, Organisation Européenne et Méditerranéenne pour la Protection des Plantes 11 (3): 225–234.
  • Alyokhin, A., M. Baker, D. Mota-Sanchez, G. Dively & E. Grafius 2008: Colorado potato beetle resistance to insecticides. – American Journal of Potato Research 85: 395–413.
  • Anonym 1950: Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer. – Neues Deutschland 16.06.1950, S. 1.
  • Bieńkowski, A. O. & M. J. Orlova-Bienkowskaja 2018: Alien leaf beetles (Coleoptera, Chrysomelidae) of European Russia and some general tendencies of leaf beetle invasions. – PLOS ONE 13 (9): e0203561.
  • Castellan, G. 1943: Etude géographique sur le doriphore en France et principalement dans la région lyonnaise. – Les Études rhodaniennes 18 (1): 1–59.
  • Gerstaecker, C. E. A. 1877: Der Colorado-Käfer (Doryphora decemlineata) und sein Auftreten in Deutschland. – Cassel, Verlag von Theodor Fischer. 84 S., 1 Taf.
  • Grapputo, A., S. Boman, L. Lindström, A. Lyytinen & J. Mappes 2005: The voyage of an invasive species across continents: genetic diversity of North American and European Colorado potato beetle populations. – Molecular Ecology 14: 4207–4219.
  • Gratwick, M. 1992: Colorado beetle A crop pest not yet established in Britain. S. 168–172. – In: M Gratwick, Crop pests in the UK. – Springer, Dordrecht.
  • Gauthier, N. L., R. N. Hofmaster & M. Semel 1981: History of Colorado potato beetle control. S. 13–33. – In: J. H. Lashomb & R. Casagrande, Advances in potato pest management. – Hutchinson Ross Publishing Co.
  • Hare, J. D. 1983: Seasonal variation in plant-insect associations: utilization of Solanum dulcamara by Leptinotarsa decemlineata. – Ecology 64: 345–361.
  • Hare, J. D. 1990: Ecology and management of the Colorado potato beetle. – Annual Review of Entomology 41: 81–100.
  • Harrison, G. D. 1987: Host-plant discrimination and evolution of feeding preference in the Colorado potato beetle Leptinotarsa decemlineata. – Physiological Entomology 12: 407–415.
  • Horton, D. R., J. L. Capinera & P. L. Chapman 1988: Local differences in host use by two populations of the Colorado potato beetle. – Ecology 69 (3): 823–831.
  • Izzo, V., Y. H. Chen, S. D. Schoville, C. Wang & D. J. Hawthorne 2018: Origin of pest lineages of the Colorado potato beetle, Leptinotarsa decemlineata. – Journal of Economic Entomology 111 (2): 868–878..
  • Königlich-Preußisches Ministerium für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten 1875: Der Kartoffelkäfer, Chrysomela (Doryphora) decemlineata mit einer Tafel in Farbendruck und einer Karte der Verbreitung des Käfers in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. – E. Schotte & Voigt, Berlin, Buchhandlung für Landwirthschaft, Gartenbau und Forstwirtschaft. 15. S.
  • Körner, K. 1992: Politische Broschüren im Kalten Krieg 1947–1963. – Deutsches Historisches Museum.
  • Kühne, S., U. Priegnitz, F. Ellmer, E. Moll & J. Kowalska 2009: Feldversuche zur Wirkung von Spinosad-, Neem- und B.t.t.-Präparaten auf die Regulierung des Kartoffelkäfers (Leptinotarsa decemlineata Say). S. 284–287. – In: J. Mayer, T. Alföldi, F. Leiber, D. Dubois, P. Fried, F. Heckendorn, E. Hillmann, P. Klocke, A. Lüscher, S. Riedel, M. Stolze, F. Strasser, M. van der Heijden & H. Willer, Werte - Wege - Wirkungen: Biolandbau im Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherung, Markt und Klimawandel. Beiträge zur 10. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau, ETH Zürich, 11.-13. Februar 2009. Band 1: Boden, Pflanzenbau, Agrartechnik, Umwelt- und Naturschutz, Biolandbau international, Wissensmanagement. Verlag Dr. Köster, Berlin.
  • Liu, N., Y. Li & R. Zhang 2012: Invasion of Colorado potato beetle, Leptinotarsa decemlineata, in China: dispersal, occurrence, and economic impact. – Entomologia Experimentalis et Applicata 143: 207–217.
  • Neck, R. W. 1983: Foodplant ecology and geographical range of the colorado potato beetle and a related species (Leptinotarsa spp.) (Coleoptera: Chrysomelidae). – The Coleopterists Bulletin 37 (2): 177–182.
  • Say, T. 1824: Descriptions of coleopterous insects collected in the late expedition to the Rocky Mountains, performed by order of Mr. Calhoun, Secretary of War, under the command of Major Long. – Journal of the Academy of natural Sciences of Philadelphia 3: 139–215, 298–331, 403–462.
  • Schoville, S. D., Y. H. Chen, M. N. Andersson, J. B. Benoit, A. Bhandari, J. H. Bowsher, K. Brevik, K. Cappelle, M.-J. M. Chen, A. K. Childers, C. Childers, O. Christiaens, J. Clements, E. M. Didion, E. N. Elpidina, P. Engsontia, M. Friedrich, I. García-Robles, R. A. Gibbs, C. Goswami, A. Grapputo, K. Gruden, M. Grynberg, B. Henrissat, E. C. Jennings, J. W. Jones, M. Kalsi, S. A. Khan, A. Kumar, F. Li, V. Lombard, X. Ma, A. Martynov, N. J. Miller, R. F. Mitchell, M. Munoz-Torres, A. Muszewska, B. Oppert, S. Reddy Palli, K. A. Panfilio, Y. Pauchet, L. C. Perkin, M. Petek, M. F. Poelchau, É. Record, J. P. Rinehart, H. M. Robertson, A. J. Rosendale, V. M. Ruiz-Arroyo, G. Smagghe, Z. Szendrei, G. W.C. Thomas, A. S. Torson, I. M. Vargas Jentzsch, M. T. Weirauch, A. D. Yates, G. D. Yocum, J.-S. Yoon & S. Richards 2018: A model species for agricultural pest genomics: the genome of the Colorado potato beetle, Leptinotarsa decemlineata (Coleoptera: Chrysomelidae). – Scientific Reports 8: 1931.
  • Walsh, B. D. 1865: The new potato bug and its natural history. – Practical Entomologist 1: 1–4.

Links

 

Autor(-en): Matthias Nuß. Letzte Änderung am 02.08.2021

Kartoffelkäfer am 20.08.2019 im Tharandter Wald am Langen Weg
(© Lothar Brümmer)


Kartoffelkäfer, Röhrsdorf bei Klipphausen, August 2016
(© Steffen Hintersaß)


Lichtenberg, 06.06.2021
(© Andreas Post)


Larve des Kartoffelkäfers. Badra (Thüringen), Juli 2020
(© Benjamin Franke)


Verschiedene Larvenstadien und Adulte des Kartoffelkäfers können gleichzeitig gefunden werden. Radeberg, Juni 2018
(© Tilmann Adler)


Kartoffelkäfer 1950 im Kreis Bautzen. DDR-Propagandaplakat.
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