Kamelhalsfliegen (Raphidioptera)

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Diagnose

Vorderflügellänge: 5–21 mm.

Kopf: Kopf lang und dorso-ventral stark abgeflacht, Mundwerkzeuge beißend, nach vorn gerichtet (prognath).

Thorax: Das erste Brustsegment (Prothorax) ist deutlich verlängert und wird leicht aufrecht getragen (Name!). Die Vorderbeine inserieren am Ende des Prothorax und sind nicht modifiziert. Flügel völlig transparent, artspezifisch irisierend, mit deutlichem Flügelmal (Pterostigma) sowie Vorder- und Hinterflügel mit gleichartigem (homonomen) dunklen Äderungsmuster.

Hinterleib: Weibchen in Verlängerung des Hinterleibs stets mit außen sichtbarer, langer Legeröhre (Ovipositor).

Ähnliche Arten: Bei anderen Insekten mit langem Prothorax (Mantispidae und Mantodea) sind die Vorderbeine zu Fangbeinen umgebildet und inserieren am Vorderende des Prothorax.

Systematik

Innerhalb der Raphidioptera werden zwei Familien unterschieden, die Raphidiidae und die Inocelliidae. Die Inocelliidae ohne Nebenaugen (Ozellen, Name!) und mit einem deutlich kürzeren, aber immer noch langen Prothorax.

Verbreitung

Die Verbreitung der rezenten Kamelhalsfliegen ist auf die Nordhemisphäre beschränkt. 

Stammesgeschichte und Diversität

Die Kamelhalsfliegen (Raphidioptera) bilden gemeinsam mit den Netzflüglern (Neuroptera) und Großflüglern (Megaloptera) die Abstammungsgemeinschaft der Netzflüglerartigen (Neuropterida).

Stammlinienvertreter der Kamelhalsfliegen sind fossil aus dem Mesozoikum sowie während des Jura und der Kreide mit einer reichhaltigen tropischen Fauna in Europa, Asien und Amerika bekannt. Diese artenreiche Fauna erlischt während der Kreide-Paläogen-Grenze und es überlebten offenbar nur kälteadaptierte Arten. Alle aus dem Paleogen bekannten Fossilien der Kamelhalsfliegen lassen sich den beiden rezenten Familien zuordnen (Aspöck & Aspöck 2003).

Rezent zwei Familien, die Raphidiidae mit etwa 210 Arten und die Inocelliidae mit etwa 40 Arten. In Deutschland 10 Arten (Gruppe et al. 2021).

Lebensweise

Ein Weibchen kann bis zu 800 Eier legen, verteilt auf mehrere Gelege. Die Eiablage erfolgt bei Arten, deren Larven unter der Rinde (subkortikol) von Gehölzen leben in Ritzen der Borke, bei Arten, deren Larven im Boden leben (terrikol) vermutlich in Pflanzenstängel. Die Larven benötigen für ihre Entwicklung eine Periode der Temperaturerniedrigung (Winter). Die Entwicklung der Larvenstadien verläuft, auch innerhalb einer Art, recht unterschiedlich. Sie dauert vom Ei bis zur Imago mindestens ein Jahr, kann aber auch zwei, drei oder mehr Jahre in Anspruch nehmen. Die Anzahl der Larvenstadien ist innerhalb einer Art nicht fixiert und schwankt zwischen 9 und 15. Bei den meisten Arten überwintert die Larve zweimal, sie verändert nach der zweiten Überwinterung ihr Aussehen, d. h. sie wird präpupal, biegt den Vorderkörper nach unten und wird unbeweglich. Nach einigen Tagen verpuppt sie sich, und nach weiteren zwei Wochen wird die Puppe beweglich (sogenannte pharate Puppe), die sich nach ein bis drei Tagen zur Imago häutet.

Larven und Adulte sind terrestrisch und ernähren sich räuberisch. Die Adulten fressen häufig Blatt- und Schildläuse. Die Inocelliidae sind nur im Larvenstadium Räuber, ihre Adulten nehmen, wenn überhaupt, nur Pollen auf. Die Adulten sind tagaktiv. Die Larven sind sehr lichtscheu.

Lebensräume

Kamelhalsfliegen leben in allen Waldtypen, Gärten und Parks, aber auch in Wiesen und auf bebauten Grundstücken, wenn diese Gehölze aufweisen (Aspöck & Aspöck 2003). Arten mit im Boden lebenden Larven sind vorwiegend in der Kraut- oder Strauchschicht zu finden, kortikole Arten besonders im Stammbereich oder in der Kronenschicht von Gehölzen.

Literatur

  • Aspöck, H. & U. Aspöck 2013: Woher kommen die Namen? Die validen rezenten Taxa der Kamelhalsfliegen der Erde: Systematisches Verzeichnis und Etymologie (Insecta: Endopterygota: Neuropterida: Raphidioptera). – Entomologica Austriaca 20: 9–155.
  • Aspöck, H., U. Aspöck & H. Hölzel 1980: Die Neuropteren Europas. – Goecke und Evers, Krefeld. 2 Bände, 495+355 S.
  • Aspöck, H., U. Aspöck & H. Rausch 1991: Die Raphidiopteren der Erde. 2 Bände. – Goecke und Evers, Krefeld.
  • Aspöck, U. & H. Aspöck 2003 (2. Aufl.): Raphidioptera, Kamelhalsfliegen. S. 542–552. – In: A. Kaestner, Lehrbuch der Speziellen Zoologie. Band I: Wirbellose Tiere. – In: H. H. Dathe: 5. Teil: Insecta. – Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg & Berlin.
  • Aspöck, U. & H. Aspöck 2007. Verbliebene Vielfalt vergangener Blüte: Zur Evolution, Phylogenie und Biodoversität der Neuropterida (Insecta: Endopterygota). – Denisia 20: 451–516.
  • Engel, M. S., S. L. Winterton & L. C.V. Breitkreuz 2018: Phylogeny and Evolution of Neuropterida: Where Have Wings of Lace Taken Us? – Annual Review of Entomology 2018 63 (1): 531–551.
  • Gruppe, A. 2020: Rote Liste und Gesamtartenliste Bayern - Netzflügler - Neuropterida: Raphidioptera, Megaloptera, Neuroptera. – Bayerisches Landesamt für Umwelt. 22 S.
  • Gruppe, A., S. Potel, O. Schmitz, E.-J. Tröger, F. Weihrauch & A. Werno 2021: Provisorische Rote Liste und Gesamtartenliste der Netzflüglerartigen (Kamelhalsfliegen, Schlammfliegen und Netzflügler im engeren Sinn oder Hafte; Neuropterida: Raphidioptera, Megaloptera, Neuroptera) Deutschlands. – In: M. Ries, S. Balzer, H. Gruttke, H. Haupt, N. Hofbauer, G. Ludwig & G. Matzke-Hajek, Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 5: Wirbellose Tiere (Teil 3). – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (5): 435-462.
  • Haring, E., H. Aspöck, D. Bartel & U. Aspöck 2011: Molecular phylogeny of Raphidiidae (Raphidioptera). – Systematic Entomology 36: 16–30.
  • Morinière, J., L. Hendrich, A. Hausmann, P. D. N. Hebert, G. Haszprunar & A. Gruppe 2014: Barcoding Fauna Bavarica: 78% of the Neuropterida Fauna Barcoded! – PLoS ONE 9(10): e109719.
  • Saure, C. 2003: Verzeichnis der Kamelhalsfliegen (Raphidioptera), Schlammfliegen (Megaloptera), Netzflügler (Neuroptera) Deutschlands. – Entomologische Nachrichten und Berichte, Beiheft 7: 276–291.
  • Wachmann, E. & C. Saure 1997: Netzflügler, Schlammfliegen und Kamelhalsfliegen. – Naturbuchverlag, Augsburg.
  • Winterton, S. L., A. R. Lemmon, J. P. Gillung, I. J. Garzon, D. Badano, D. K. Bakkes, L. C. Breitkreuz, M. S. Engel, E. M. Lemmon, X. Liu, R. J. Machado, J. H. Skevington & J. D. Oswald 2018: Evolution of lacewings and allied orders using anchored phylogenomics (Neuroptera, Megaloptera, Raphidioptera). – Systematic Entomology 43: 330–354.

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Autor(-en): Matthias Nuß. Letzte Änderung am 02.02.2024
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